„Kompe-was?!“ – Mit der neuen Kyu-PO ist die Kompetenzorientierung auch im Judo angekommen

Kommt etwas Neues auf die Leute zu, so sind die vermeintlichen Traditionalisten die Ersten, die laut schreien. Das ist auch mit der neuen Kyu-Prüfungsordnung des Deutschen Judobundes nicht anders. Als die ersten Gerüchte über Form und Umfang etwa ein Jahr vor dem Inkrafttreten der Prüfungsordnung (Juli 2022) an die Öffentlichkeit gelangten, fand vor allem die deutliche Reduzierung des Umfanges viel Kritik. Dieser Schein trügt nicht. Jedoch ist wichtig, sich vor Augen zu führen, woher dieser Umstand kommt:

Die bisherige Prüfungsordnung galt in Deutschland seit über zwanzig Jahren. Damit hat sie sogar den PISA-Schock überlebt. In der Bildungsforschung war der Trend hin zur Kompetenz- und Outputorientierung bereits vor 2000 immanent. In Deutschland setzte sich dieses Desiderat erst infolge des schlechten Abschneidens in der internationalen PISA-Studie durch. Diese kam grob zu folgenden Erkenntnissen:

  1. Der Erfolg von Schülerinnen und Schülern in Deutschland hängt überdurchschnittlich stark von ihrer sozio-ökonomischen Herkunft ab.
  2. Lehrkräfte verließen sich auf inhaltlichen Input und dessen Repetition. Eine Förderung von Fähigkeiten und Können („Kompetenzen“) fand nicht statt.

Die Folge: Schülerinnen und Schüler wissen einiges, können aber nichts – arme Schüler und solche mit Migrationshintergrund noch viel weniger. Die Inputsteuerung funktionierte nach dem Prinzip „Spaghetti an die Wand werfen und schauen, was Kleben bleibt“. Im Nachgang wurde das Bildungssystem in einem nie dagewesenen Kraftaufwand auf die Kompetenzorientierung umgestellt. Der Judosport, der gut zwei Jahrzehnte zuvor begonnen hatte, sich durch Motivation und didaktische Eigenentwicklungen von der Gokyo als traditionelle Prüfungsordnung abzusetzen, hat diesen grundlegenden Wechsel gründlich und über mittlerweile zwei Dekaden verschlafen. Stattdessen reagierte man auf die wachsenden Probleme der meist jungen Judoka mit dem bestehenden Prüfungssystem stets mit einer Reduzierung der Inhalte, ohne das Fehlen von Kompetenzförderung zu adressieren. Zudem verzichtete das Prüfungssystem auf die Repetition von Prüfungsinhalten aus den vorherigen Kyu-Grade, was zur Zeit der Gokyo als Prüfungsordnung noch üblich gewesen war. Die Folge: Die Judoka konnten durch die Kyu-Ausbildung gehen, ohne Situationen lösen zu können und sogar ohne sich an die Inhalte der vorherigen Gürtel umfänglich zu erinnern.

Die Lösung: Gleichsam Wissen und Fertigkeiten vermitteln, die das Lösen von judospezifischen Situationen einerseits und Teilhabe im Verein andererseits ermöglichen. Dafür wurden inhaltlich die zu zeigenden Techniken auf zwanzig Würfe und ähnlich viele Bodenaktionen eingegrenzt. Diese werden dann sukzessiv bis zum 1. Kyu wiederholt. Gleiches gilt jedoch auch für die Anwendungsaufgaben, was das größte Novum darstellt.

Zu jedem Gürtelgrad sollen eine Technik zur Hauptseite, eine zur Gegenseite sowie eine Fußtechnik gelernt werden. Dabei sind die Techniken nicht starr vorgegeben, sondern dürfen innerhalb der für diese Kategorien vorgegebenen Würfe variiert werden. Es steht also nicht das inhaltliche Lernen der Techniken im Vordergrund, sondern ihre situative Beherrschung.

 

Kompetenz – was ist das?

Der Kompetenzbegriff ist schwer zu fassen. Das liegt daran, dass man Kompetenzen nicht sehen kann (latentes Merkmal). Daher sind die Förderung und Überprüfung von Kompetenzen davon abhängig, was man als zu lernende Kompetenzen definiert und wie man diese beobachtbar machen kann (operationalisieren). Dabei unterscheidet man zwischen der Kompetenz als Fähigkeit und Bereitschaft eine Handlung zu tätigen und der Performanz – also dem Verhalten des zu Beobachtenden. Die Aufgabe des Beobachters ist nun, von beobachtbaren (manifesten) Merkmalen im Verhalten auf vorhandene Kompetenzen zu schließen, wobei dies systematisch und einheitlich geschehen muss. Dies geschieht durch auf die Kompetenzen zugeschnittene Lernaufgaben, mit denen die Kompetenzen gefördert und durch die Lösung der Aufgabe überprüfbar werden.

Im Unterschied zum inhaltlichen Input wird also bei einer beispielsweise fachterminologischen Aufgabe nicht geschaut, ob Termini im Wortlaut ihrer Definition wiederholt werden können, sondern ob der Schüler in der Lage ist, diesen unter Beachtung der Fachsprache und inhaltlichen Korrektheit z.B. zu erklären oder zu erläutern.

Was heißt das für unser Judo?

Reines Herunterbeten von Wissen und abspulen von Techniken führt nicht zu kompetenten, meinungsstarken und partizipierenden Judoka. Daher soll das Prüfungstraining von nun an kompetenzorientiert sein. Die zu fördernden Kernkompetenzen sind durch den Deutschen Judo-Bund folgendermaßen definiert worden:

Handlungskompetenz

Fachkompetenz Personale Kompetenzen
–          Wissen –          Sozialkompetenz
–          Fertigkeiten

–          Selbstständigkeit

 

Die Kernkompetenzen sind zudem in Kompetenzniveaus unterteilt, die beim DJB nachgelesen werden können. Die Kernkompetenzen sollen in folgenden Handlungsfeldern erworben werden:

  • Handlungsfeld „Trainings- und Übungsbetrieb“
  • Handlungsfeld „Wettkämpfe“ (in den Disziplinen Shiai und Kata)
  • Handlungsfeld „Sonstige Ausbildungen“ (Lehrgänge und Seminare)
  • Handlungsfeld „Organisation und Verwaltung“

 

Beispiele:

Wissen: O-soto-gari

How-to (Einzelbeispiele für Kompetenzen) How-not-to (Einzelbeispiele)
Der Judoka Der Judoka
–          reproduziert den auswendig gelernten Namen „O-soto-gari“
–          Nennt den Namen „O-soto-gari“ und erklärt dessen Herkunft als „Große-Außensichel“ –          nennt eine deutsche Übersetzung aus dem Lernmaterial
–          Erläutert das biomechanische Prinzip hinter der Technik, das sich aus der Nomenklatur des Kodokan ergibt

 

Fertigkeit: O-soto-gari

How-to (Einzelbeispiele für Kompetenzen) How-not-to (Einzelbeispiele)
Der Judoka Der Judoka
–          Demonstriert die Technik aus einer sinnvollen Bewegung –          Demonstriert die Technik aus der Vorwärtsbewegung
–          Begründet die gewählte Bewegung

 

Wie die Beispiele zeigen, können bereits kleine Änderungen in der Aufgabenstellung während des Trainings zu einem Benefit in der Aktivierung der Schützlinge führen. Dabei ist zu beachten, dass diese kleinen Änderungen durchaus mit umfangreicheren Umstrukturierungen des Trainings einhergehen können. So ist das Erläutern des Prinzips „Sicheln“ durch bloßes „listen-and-repeat“ nicht zu leisten.

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