Essay: Über Fehlinformationen
Zurzeit werden in Dortmund Flyer von sog. Corona-Skeptikern verteilt. Dabei handelt es sich um Veröffentlichungen der Gruppe „Ärzte für Aufklärung“. Im Kern wirft die Gruppe der Regierung vor, bei Menschen Panik zu schüren, Kinder zu traumatisieren, die Wirtschaft zu schädigen und notwendige medizinische Behandlungen auszusetzen. Hierbei setzt sie auf zwei Grundbehauptungen: 1. Der PCR-Test sei zit. „nichtssagend“ und 2. Das Tragen von Masken sei unwirksam und gefährlich.
Es ist nicht auszuschließen, dass diese Behauptungen von unbedarften Menschen für wahr angenommen werden, ohne sie nachzuprüfen. Dies kann im Vereinstraining zu Problemen mit der Compliance, also der Akzeptanz und Verinnerlichung der Hygieneregeln im Verein durch einzelne Mitglieder führen. Ein Übungsleiter sollte hierbei nicht auf verlorenem Posten stehen. Daher soll hier eine systematische Widerlegung der Thesen erfolgen, welche diese Gruppe über ihren Flyer verbreitet. Dabei geht es mir nicht um die naturwissenschaftliche Exaktheit, sondern um sachliche Korrektheit, damit der Zugang zum Text so einfach wie möglich bleibt.
Zunächst stellt die Gruppe dar, dass es üblich sei, dass im Winter häufiger Erkältungen auftauchen. Dies ist zwar richtig, verkennt jedoch, dass es sich bei COVID-19 nicht um eine harmlose Erkältung handelt. Dies lässt sich argumentativ mit der schnellen und schwer kontrollierbaren Durchseuchung der Bevölkerung sowie der drohenden Überlastung der Intensivstationen widerlegen. Zwar ist es richtig, dass 80% der Infektionen mild bis moderat verlaufen, bei etwa 20% der Patienten kommt es jedoch zu einer Verschlechterung der Atemfähigkeit. Das bedeutet, dass einer von fünf Menschen, der sich mit SARS-CoV-2 ansteckt, einen schweren Verlauf mit Atemnot bekommt. Bei 5% der Gesamtfälle kommt es zu einer sog. Intensivpflichtigkeit. Das bedeutet, dass das Leben dieser Patienten so sehr gefährdet ist, dass sie lückenlos überwacht werden müssen. Bei massenhaftem Anfall dieser letzten beiden Patientengruppen droht eine Überlastung des Gesundheitssystems mit Folgen für die komplette Bevölkerung.
Das Mehrauftreten von Infektionskrankheiten in den Wintermonaten nutzt die Gruppe, um den PCR-Test zu diskreditieren. Dieser könne eine Infektion nicht nachweisen und sei für die Diagnostik nicht zugelassen. Hierfür muss erst einmal vereinfacht erklärt werden, worum es sich bei einem PCR-Test handelt:
Dieses Video erklärt es vermutlich besser als ich:
PCR ist die handliche Abkürzung für „Polymerase-Chain-Reaction“. Das Verfahren wurde 1983 entwickelt und bekam 1993 den Chemienobelpreis. Es wurde seitdem laufend weiterentwickelt und gehört zu den besterforschten Methoden der Biomedizin. Zudem dürfte es den Meisten unter dem Namen „DNA-Test“ bekannt sein, denn bei dem aus der Populärkultur bekannten Nachweis von Erbgut am Tatort handelt es sich im Wesentlichen um dasselbe Verfahren. Nun mag man sich vielleicht nicht vom Erfolg einer Untersuchungsmethode „blenden“ lassen. Daher soll nun kurz verständlich erläutert werden, wie ein PCR-Test funktioniert: Zunächst muss die Probe aufbereitet werden, um an das Erbgut zukommen, welches nachgewiesen werden soll. Dieses befindet sich in einer Art Kettenform im Zellkern und ist sehr lang. Weil das Erbgut so lang ist, kann es nicht als Ganzes „verglichen“ werden. Daher spaltet man zunächst das Erbgut in zwei hinsichtlich ihrer Zusammensetzung identische Teilketten. Dies ist möglich, weil die DNA aus zwei identischen „Kopien“ besteht, die eine Doppelkette bilden. Nun benutzt man kürzere „Stücke“ dieser Erbgut-DNA, um einen Startpunkt für den Test auf einer dieser Einzelketten festzulegen. Diese Stücke nennt man Primer. Diese werden jeweils an die zu testenden Einzelketten „angedockt“. Ausgehend von diesen Primern wird das Erbgut nun mit einem sog. Enzym, der Polymerase, vervielfältigt. Ein Enzym kann man sich als einen im Vergleich zu anderen Stoffen relativ großen „Knubbel“ aus Eiweißen vorstellen, welches im Körper ganz bestimmte Aufgaben im Stoffwechsel (etwa Spaltung oder Transport von wichtigen Stoffen) wahrnimmt. Die Aufgabe der Polymerase ist die Vervielfältigung von Erbgut. Dies geschieht, indem das Enzym die am Testerbgut „angedockten“ Primer um die fehlenden Erbgutbestandteile ergänzt, bis wieder eine Doppelkette besteht. Man hat also am Ende dieses Zyklus zwei Doppelketten. Wenn die Vervielfältigung gelingt und nicht abbricht, beginnt ein neuer Zyklus. Dies funktioniert also nur, wenn es überhaupt Primer gibt, die einem Abschnitt auf dieser Kette entsprechen und die Kette am Primer durch die Polymerase „nachgebaut“ werden kann. Die Vorstellung also, ein PCR-Test könnte „falsche“ Ergebnisse liefern ist also erst einmal mindestens ungenau. Doch woher die ganzen falschpositiven Tests im Frühjahr? Nun, da hatte man noch keine genügend aussagekräftige Primer entdeckt. Kreuzreaktionen mit anderem genetischem Material oder den vervielfältigten Erbgut-Ketten selbst könnten ebenso dazu beigetragen haben (es entstehen viele Millionen von Ketten!). Aber: Inzwischen liegt die Genauigkeit der PCR-Test im Nachweis von SARS-CoV-2 bei 98%. Trägt also jemand SARS-CoV-2 in seinen Atemwegen, ist also infiziert, und wird getestet, so ist es mit 98%er Wahrscheinlichkeit sicher, dass dieser Virus beim PCR-Test nachgewiesen wird. Es ist also falsch, dass ein PCR-Test eine Infektion nicht nachweisen kann.
Die Gruppe, welche den Flyer veröffentlicht hat, vermittelt außerdem den Eindruck, der PCR-Test eigne sich nicht zur Diagnostik. Sie verschweigen jedoch, dass die Diagnose nicht allein anhand des PCR-Verfahren gestellt wird. Da es sich vorgeblich um Ärzte handelt, muss man sagen: Sie behaupten es wider besseren Wissens. Für eine Diagnose muss, wie bei jeder anderen Erkrankung, eine klinische Untersuchung durch den Arzt am Patienten stattfinden. Als Testkriterien für einen COVID-19-Verdacht sind beim RKI genannt:
- Schwere Symptome, die das Atmungssystem betreffen ODER
- Störung des Geruchs-/Geschmackssinnes ODER
- Symptome und Kontakt mit einer infizierten Person ODER
- Verschlechterung des Krankheitsbildes nach anhaltenden akuten Symptomen das Atmungssystem betreffend ODER
- Symptome jeder Schwere das Atmungssystem betreffend, wenn man zu einer Risikogruppe gehört oder im Krankenhaus arbeitet oder ungeschützt auf einer Großveranstaltung war oder Kontakt mit einer Person hat, die einen ungeklärten Atemwegsinfekt hat, wenn die Verbreitung im Landkreis bereits hoch ist oder man Kontakt zu Risikopatienten hat.
Getestet wird also nicht willkürlich. Das Erwecken dieses Eindruckes entbehrt demnach jeder Grundlage. Asymptomatische Patienten werden nur getestet, wenn sie Kontakt zu bereits infizierten Personen haben. Zu behaupten, „die täglich gemeldeten Zahlen“ seien „nichtssagend“, ist somit ebenso irreführend wie zu 98% falsch.
Hat man die Lektüre der PCR-Diskreditierung hinter sich, dreht man den Flyer um und bekommt ein Manifest wider der Maskenpflicht zu lesen, welches – erst einmal wertfrei gesprochen – seines gleichen sucht. In vier Stichpunkten werden vorgebliche Gesundheitsrisiken der Masken vorgetragen, die dem Leser offenbar Angst machen und sie somit für die Bewegung der Gruppe einnehmen sollen. Obgleich mannigfaltige Studien nicht feststellen konnten, dass die Blutsauerstoffsättigung im Blut bedrohlich sinkt, wird hier anhand von Einzelmeinungen das glatte Gegenteil behauptet. Neben Kopfschmerzen, Schwindel und Konzentrationsstörungen werden hier Entwicklungsschäden bei Kindern und sogar Organschäden in Aussicht gestellt (nein, nicht postuliert). Eine Sauerstoffsättigung, die Organschäden verursacht, müsste eine quälende Leistungsminderung sowie Atemnot bedingen und umgekehrt. Eine solch gravierende Auswirkung von jeglicher Art von Masken ist nicht nachzuweisen.
Im zweiten Stichpunkt verschärft die Gruppe ihre Behauptungen: Die erhöhte Kohlenstoffdioxid-Konzentration im Blut führe zu Atemnot, Krampfanfällen und Bewusstlosigkeit. Diese Gefahren sind für normalgesunde Menschen, also die Gruppe, die von dem Flyer angesprochen werden soll, sehr gering. Atemnot kann unter Verwendung einer Maske zum Beispiel bei starker körperlicher Belastung auftreten. Hierbei sollte ohnehin auf eine Maske verzichtet werden, es sei denn es besteht ein erhöhtes Risiko der Infektion bzw. der Infektionsverschleppung. Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Gruppe in ihrem Internetauftritt die Ausgabe von FFP-2 Masken für Risikopatienten verlangt, um selbst auf das Tragen von Masken verzichten zu können. Dabei erwähnen sie (wider besseren Wissens) nicht, dass:
- FFP-2 Masken mit Ausatemventil für Risikopatienten die Verbreitung des Virus nicht stoppen können
- FFP-2 Masken eine maximale Tragezeit haben, da sie selbst bei gesunden (!) Menschen bei langer Tragezeit zu Atemnot, hoher Kohlenstoffdioxidkonzentration hinter der Maske und Durchblutungsstörungen führen können
- FFP-2 Masken somit Arbeitsmasken für kurze Belastungszeiten sind
- FFP-2 Masken wichtig für den Infektionsschutz im Gesundheitssystem sind und somit für den Privatgebrauch im Pandemiefall limitiert werden.
Drittens wird mit Bezug auf Forscher aus Bamberg dargestellt, dass die Emotionsentwicklung von Kindern durch die Gesichtsbedeckung gestört werde. Eine Beeinträchtigung der psychischen Entwicklung sei die Folge. Auf diese Befürchtung hat die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen bereits reagiert und von einer Maskenpflicht für Grundschüler abgesehen.
Als letztes Argument für die Schädlichkeit der Masken gibt die Gruppe an, dass sich in Masken innerhalb kurzer Zeit Bakterien und Schimmelpilze bilden. Dies ist für sich gesehen nicht falsch und steht vermutlich deswegen aus rhetorischen Gründen am Ende des Pamphlets. Aufgrund dieser hygienischen Mängel empfehlen medizinische Fachgesellschaften, wie die DGIIN und DIVI, Masken nach dem Tragen zum Trocknen aufzuhängen, um die Bildung von Keimen zu verhindern. Außerdem sollen Stoffmasken so oft wie möglich gewaschen werden. Somit ist die hygienische Verwendung (auch von Alltagsmasken) unbedenklich. Über eine mögliche Schmierinfektion über die Maske zu COVID-19 zu kommen, eine Möglichkeit, welche die Gruppe interessanterweise nicht erwägt, ist im Übrigen ein geringeres Risiko als die Übertragung durch Tröpfchen und Aerosole. Trotzdem bleibt zu empfehlen, die Masken stets an den Rändern anzufassen, sie aufzuhängen, sie oft zu waschen und nicht in Taschen zu stecken.
Zuletzt soll auf die These eingegangen werden, Alltagsmasken schützten den Träger nicht vor Infektionen. Dies ist in der Tat umstritten. Der Schutz des Trägers scheint hinter dem Schutz der Allgemeinheit zurückzustehen. Auch für OP-Masken scheint dies zu stimmen. Die Gruppe verkennt jedoch, dass es eben der Schutz der Gemeinschaft ist, der durch die Maskenpflicht angestrebt wird, nicht der des Individuums. Diese Notwendigkeit entsteht aus dem Factum der symptomlosen Verbreitung des Virus. Das Fazit, welches man dem Flyer ausstellen muss, klingt somit ziemlich vertraut: Hier werden Partikularinteressen zu Lasten der Gesellschaft verfolgt. Dazu ist augenscheinlich jedes Mittel recht. Auch Panikmache.
Literaturhinweise:
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